Drohendes Erbrechen eines Taxifahrgastes rechtfertigt keine Geschwindigkeitsüberschreitung

OLG Bamberg, Beschluss vom 04.09.2013 – 3 Ss OWi 1130/13

Die durch ein Übergeben eines betrunkenes Fahrgastes befürchtete Verunreinigung des Wageninnenraums eines Taxis vermag eine zur schnelleren Erreichung der nächstgelegenen Autobahnausfahrt begangene Geschwindigkeitsüberschreitung regelmäßig schon mangels Geeignetheit des zur Gefahrenabwehr eingesetzten Mittels nicht nach § 16 OWiG zu rechtfertigen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 25. Februar 2013 mit den Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.
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Mit Bußgeldbescheid vom 12.11.2012 wurden gegen den Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 64 km/h eine Geldbuße in Höhe von 440 Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG verhängt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen Einspruch mit Urteil vom 25.02.2013 freigesprochen. Es hat dabei dessen Einlassung zugrunde gelegt, wonach er in seiner Eigenschaft als Taxifahrer zwei betrunkene Fahrgäste befördert und deswegen auf der Bundesautobahn die Geschwindigkeit überschritten habe, um die nächste Ausfahrt zu erreichen. Er habe damit verhindern wollen, dass der weibliche Fahrgast sich im Fahrzeug übergeben müsse und sein Fahrzeug mit Erbrochenem verunreinige. Mit der Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts.
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Die zur Rechtsbeschwerdebegründung der rechtsmittelführenden Staatsanwaltschaft vom 27.03.2013 abgegebene Stellungnahme des Verteidigers vom 18.06.2013 lag dem Senat ebenso vor wie die zur Antragsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht vom 14.08.2013 abgegebene Gegenerklärung des Verteidigers vom 03.09.2013.

II.
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Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet. Das Amtsgericht hat den Betroffenen zu Unrecht wegen rechtfertigenden Notstands freigesprochen, indem es die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands im Sinne des § 16 OWiG rechtsfehlerhaft bejaht hat. Die Prämissen dieser Norm sind schon nach den eigenen Feststellungen des Amtsgerichts, die im Übrigen auch lückenhaft sind, nicht erfüllt.
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1. Im angefochtenen Urteil fehlt es bereits an einer nachvollziehbaren Darlegung, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überhaupt geeignet war, das vom Betroffenen verfolgte Ziel, nämlich die Verhinderung, dass der weibliche Fahrgast sich im Fahrzeug übergebe und deshalb das Wageninnere verunreinige, zu erreichen. Es entspricht gefestigter Ansicht in Judikatur und Schrifttum, dass das ausgewählte Abwehrmittel geeignet sein muss, die Gefahr zu beseitigen (vgl. KK OWiG-Rengier 3. Aufl. § 16 Rn. 17 m.w.N.). Insbesondere dann, wenn durch die Geschwindigkeitsüberschreitung kein wesentlicher Zeitgewinn zu erwarten war, kann der Rechtfertigungsgrund des § 16 OWiG nicht eingreifen (Rengier a.a.O.; BayObLGSt 1990, 105; KG, Beschluss vom 26.10.1998 – 2 Ss 263/98 [„unabweisbarer Stuhldrang“], jeweils m.w.N.). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil aber nicht. Es teilt insbesondere nicht mit, wieweit das Taxi von der nächsten Ausfahrt oder einem Parkplatz entfernt war. Deshalb kann nicht nachvollzogen werden, ob der Betroffene – bei der gebotenen ex-ante-Sicht (Rengier a.a.O.) – berechtigter Weise annehmen durfte, er könnte durch schnelles Fahren die bevorstehende Verunreinigung seines Fahrzeugs durch Erbrochenes verhindern. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Übergeben um einen Reflex handelt, der sich einer willentlichen Beeinflussung durch die betroffene Person entzieht, und deshalb eine Verzögerung letztlich nicht möglich ist.
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2. Ungeachtet dieser Erwägungen sind die Urteilsgründe aber auch deshalb lückenhaft, weil sich ihnen nicht entnehmen lässt, inwiefern – abgesehen von einem Anhalten auf dem Seitenstreifen – andere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um die Gefahr der Verunreinigung des Taxis abzuwehren. Es liegt in jeder Hinsicht nahe, dass in Taxis so genannte Brechtüten, wie dies in Flugzeugen üblich ist, mitgeführt werden. Dazu, ob dies hier der Fall war, verhält sich das angefochtene Urteil ebenfalls nicht.
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3. Aber selbst unter Zugrundelegung der nur sehr knappen tatsächlichen Feststellungen durch das Amtsgericht kann ein rechtfertigender Notstand nicht angenommen werden. Denn die vom Amtsgericht durchgeführte Interessenabwägung weist grundlegende Rechtsfehler auf.
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a) Soweit das Amtsgericht meint, der Lärmschutz habe hinter die „Sicherheit der Fahrgäste“ zurückzutreten, wählt es bereits einen falschen Ansatz. Denn die „Sicherheit“ der Fahrgäste war durch das mögliche Erbrechen im Fahrzeuginneren überhaupt nicht berührt. Dies wäre eventuell nur dann der Fall gewesen, falls der Betroffene auf dem Seitenstreifen der Autobahn angehalten hätte, was aber gerade nicht die einzige Alternative war. Deshalb war es geboten, die mögliche Verunreinigung des Fahrzeuginneren, um deren Verhinderung es nach den Urteilsfeststellungen dem Betroffenen ging, in die Abwägung einzustellen.
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b) Unter Zugrundelegung der Feststellungen des Amtsgerichts standen sich mithin die potentielle Verunreinigung des Fahrzeuginneren einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der Verkehrsregeln im Allgemeinen sowie der Schutz der anwohnenden Bevölkerung vor nächtlicher Lärmbeeinträchtigung im Besonderen andererseits gegenüber. Im Rahmen der gebotenen Bewertung kann indessen von einem Überwiegen des Interesses des Betroffenen nicht ausgegangen werden. Es handelt sich hierbei um das Einzelinteresse des Betroffenen daran, dass das von ihm gesteuerte Fahrzeug nicht verunreinigt wird. Dies überwiegt schon von vornherein nicht – wie es der eindeutige Wortlaut des § 16 OWiG fordert – „wesentlich“ die Interessen der Anwohner an der Einhaltung des Lärmschutzes. Ungeachtet dessen ist in diesem Zusammenhang zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Betroffene es war, der die erkennbar Betrunkenen in seinem Taxi aufnahm. Dabei bedarf es im vorliegenden Fall auch überhaupt nicht der Beantwortung der von der Verteidigung aufgeworfenen Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Beförderungspflicht bestand. Denn entweder hatte der Betroffene entsprechende Vorsorge getroffen und erforderliche Utensilien in Form von Brechtüten oder dergleichen mitgeführt, sodass – wie bereits angesprochen – sich eine Notstandssituation schon deswegen nicht stellte, oder er hat dies unterlassen, obwohl ihm klar sein musste, dass dringender Bedarf hierfür bestand. Wenn dem aber so war, so hätte er – insbesondere weil er in der Oktoberfestzeit erkennbar betrunkene Fahrgäste aufnehmen wollte – ganz massiv gegen die eigenen Interessen gehandelt und eine maßgebliche (Mit-)Ursache gesetzt, sodass auch deswegen seine Interessen hintanzustellen sind.

III.
9

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist daher das Urteil des Amtsgerichts mit den Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 353 StPO; § 79 Abs. 6 OWiG).

IV.
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Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
11

Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

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